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Wie im Rausch verbrachte ich den folgenden Tag. Die innige
Begegnung mit Glöckchen hatte mir einzigartige
Hoffnung auf eine wirklich glückliche Zukunft geschenkt.
Ich verspürte sprudelnde Lebendigkeit. Es war der Wunsch in
mir, Glöckchen in den ver- schiedensten Formen zu vergegenständlichen. Niemals vorher hatte ich vermutet,
dass mir kreative Gestaltungsmöglichkeiten zu Eigen
sein könnten. Ich begann mit Kohle-Skizzen ihrer
geflügelten Er- scheinung. Wechselte zu Radierungen,
die ihre verwandelte Form bildhaft werden ließ. Größeren
Ausdruck ihrer Schönheit und Anmut verliehen die Bilder, die mit Öl - oder Wasserfarben
gemalt
waren. Als ein so zerbrechlich wirkendes, geflügeltes kleines Wesen auf Blättern oder in Blüten von
Waldrosen, Wiesentulpen und Hecken- glockenblumen
Die Fähigkeit sie so zu malen, in
ihrer selbst die großen, menschenähnlichen Erscheinung,
dass es mir Sprache verschlug, konnte mir nur Glöckchen
geschenkt haben. Ich probierte mich auch an Ton und Marmor.
Doch mit dem
leicht |
zu bearbeitenden, rosenquarzfarbenen
Speckstein, gelang es am besten, sie als Statuette entstehen zu lassen.
Besondere Sorgfalt ließ ich dabei der Gestaltung ihrer Flügel zukommen.
Meine innere, bildhafte Vorstellung manifestierte sich nach und nach in
eine Schwester aus Speckstein, meines geliebten Glöckchens. Den Abschluss
jener Arbeiten bildete die lebensgroße, aus einem Eisblock
herausgearbeitete, Engelfigur, welche ihre Züge trug. Dieser
Schaffensperiode schloss sich eine Zeit des Nachklingenlassens der
Begegnung mit Glöckchen an. Bei allem was ich tat, war sie dabei. Die
Erinnerung ihrer liebevollen Umarmungen beflügelte mein Leben. Ich hatte
darüber ganz der Prophezeiung Glöckchens vergessen, die besagte, dass
Einsamkeit und Trockenheit über mich kommen würden, als Vorbereitung auf
ein Dasein des Glücks mit ihr. Und so war es. Die Dinge des Lebens auf
der Erde hatten für mich, seit der Rückkehr aus Glöckchens Armen,
vollkommen den Geschmack verloren. Solang die Erinnerung an sie frisch
war, empfand ich nichts als fade. Doch im langsamen Verblassen dessen,
was mir Glöckchen geschenkt hatte, wurde die Leere hier zunehmend
deutlicher spürbar. Und diese Leere war gefräßig. Nichts hielt ihr stand.
Nach und nach verleibte sie sich alles ein. Das Nichts griff um sich. Ich
floh in eine Bergregion. Von der Anhöhe hinter mich blickend sah ich, wie
die Leere schon den Fuß des Berges, den ich erklommen, erreicht hatte. Wo
vor kurzem noch ein Wald mit knorrigen Bäumen gestanden hatte, gähnte
jetzt abgrundtiefes Schwarz. Meine Flucht hielt mich in einigem Abstand
des gefräßigen Rachens, doch entkommen, so schien es, konnte ich nicht.
Ich geriet in eine sehr trockene Gegend, die nur noch wenig Vegetation
aufwies. Der Wassermangel zehrte bald meine letzten Kräfte auf. An einem
ausgedörrten Baum angekommen, wollte ich ausruhen. Soll die Leere doch
kommen, dachte ich. Ich fliehe nicht mehr, bin eh' bereits mehr tot als
lebendig. Schon hörte ich das Brüllen des tonlosen Nichts. Aus dem
flirrend-heißen Himmel schoss etwas auf mich zu und traf mich am Kopf.
Ich verlor das Bewusstsein.
Ineinander verwobene Berührung
Als ich zu mir kam schmerzte mein Kopf. Sehen konnte ich nichts. Ich
führte meine Hand zu der Stelle am Kopf, die mir das Zentrum des
Schmerzes zu sein schien. Ich fühlte Nässe und konnte die Umrisse einer
klaffenden Wunde ertasten. Was war nur geschehen und wo befand ich mich?
Ich wollte mich erheben, doch sofort verlor ich das Gleichgewicht. Die
Schmerzen an der Schläfe verstärkten sich bei jeder Bewegung. Daher
beschloss ich liegen zu bleiben. Auf der Haut konnte ich starke Wärme
spüren. War ich noch immer in der Wüste und blind, weil sich kein
Lichtschein in meine Augen drängte? Vollkommen verzweifelt und dem
Verdursten nahe sah ich mein Ende beschlossen. Da erreichte eine sanfte
Stimme mein Ohr. Ich erkannte sie. Glöckchen rief nach mir. Wie war ich
froh sie zu hören. Ich gab Laut. Ein kühlender Windhauch ließ mich
wissen, dass sie mich gefunden hatte. Ich vernahm das helle Klingen eines
zauberhaften Glockenspiels. Dann spürte ich eine sanfte Hand auf meiner
schmerzenden Wunde. Das Brennen wurde linder und verlosch. Eine andere
Hand, die ich deutlich als die Linke Glöckchens erkannte, legte sich auf
meine Augen. Im Wegnehmen vermochte ich in Umrissen meine Schöne zu
erkennen.
Das Bild wurde klarer und bald sah ich Glöckchen in ihrer
ganzen bezaubernden Erscheinung. Wir fielen uns in die Arme. Ich küsste
sie und dankte ihr für die wunderbare Rettung. Als ich mich umsah stellte
ich fest dass ich nicht mehr in der Wüste war. Glöckchen hatte mich schon
in ihr Reich geholt. Sie reichte mir eine Schale mit wohlschmeckender
Flüssigkeit. Der Durst, den ich empfunden hatte, war im Nu gelöscht.
Jetzt war ich gestärkt um die Begegnung mit Glöckchen mit allen Sinnen in
mich aufnehmen zu können. Sie erschien mir diesmal noch schöner, als ich
es von unserem letzten Wiedersehen her in Erinnerung hatte. Sie
umstrahlte ein pastellfarbenes Licht und dies verlieh ihr die Aura eines
erhabenen Engels. "Es ist nun die Zeit", sprach sie, "in der wir
gemeinsam die nächst höhere Stufe des Lebens ersteigen können. Folge
mir." Damit reichte sie mir ihre Hand. Gemeinsam schwebten wir einem Berg
zu, auf dessen Gipfel ein alter Baum wurzelte. Auf einem der knorrigen,
etwas verwittert aussehenden, Äste ließen wir uns nieder.
Was nun folgte
war das Außergewöhnlichtste, das ich je erlebt habe. Sie ergriff wieder
meine Hände. Doch indem sie das tat, schienen die ihren und meine Hände
ineinander zu fließen. Bald konnte man keinen Unterschied dort, zwischen
mir und ihr mehr ausmachen. Eine noch nie vorher gespürte Sehnsucht
ergriff mich. Wir bewegten uns langsam aufeinander zu. Jede Stelle meines
Körpers, mit der ich den ihren nun berührte, verschmolz mit ihr. Die
Umarmung wurde zu einem vollständigen Durchwobensein. Die Liebe zu ihr
füllte mich ganz aus. Und seltsam, ich konnte ihre Liebe zu mir deutlich
spüren. In mir keimte eine Ahnung auf, dass ich Glöckchen schon sehr
lange gekannt habe. Länger als mein jetziges Leben, länger als die Erde
besteht, ja sogar länger als die Existenz des ganzen Universums. So sehr
mich die Eindrücke überwältigten, so sehr war ich doch auch verwirrt.
Noch bevor ich einen ersten Schimmer von Klarheit gewinnen konnte,
trennte sich Glöckchen wieder von mir. Ihre Erscheinung hatte sich
verklärt. Sie erstrahlte in unendlich sanftem Leuchten. Auch wies sie
eine Art Transparenz auf, die ich so noch nie gesehen habe.
Wie durch
geistige Eingebung sah ich mich plötzlich in genau dem gleichen,
unendlich sanften Leuchten und der ungewöhnlichen Transparenz vor meinen
eigenen Augen. Glöckchen vermittelte mir das Bild, welches sie sah. Eine
nie gekannte Liebe zu ihr erfüllte mein Herz. Doch einem erneuten Sichdurchweben wehrte sie mit dem Zeichen ihrer Hand. Sie ließ mich auf
die unmittelbare Art, welche keiner Sprache bedarf, wissen, dass wir bald
das höchste Ziel unseres Wünschens erreichen würden. Damit vermehrte sich
ihre Transparenz, bis sie meinem Blick ganz entschwunden war.
Die Verschmelzung
Das erste Mal, nach diesen Begebenheiten, um mich schauend, erkannte ich,
dass ich mich weder auf der Erde, noch auf der Ebene von Glöckchens Welt
befand. Unter mir weitete sich mein Blick in eine Region mit nebelhaften,
spiralförmigen Gebilden. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, ich
meinte es seien Galaxien. Ich wollte noch meine Auge scharf stellen, da
konnte ich klar sehen, dass diese Formen wirklich die bekannten
Sternansammlungen aus dem Universum waren. Mich über die ganzen Umstände
verwundernd, konnte ich, durch einfachen Gedanken daran, jeden mir
beliebigen Ort inner- oder außerhalb einer Galaxie erreichen.

Mein
besonderes Interesse weckten die hell leuchtenden Kernbereiche. Was
bisher durch kein von Menschen erbautes Teleskop zu beobachten war, ich
vermochte die konzentrierte Ansammlung einer Sternenvielzahl zu erkennen,
die spiralförmig um ein schwarzes Zentrum kreisten. Massive
Energieentladungen schleuderten grell leuchtende Materie, nach oben und
unten, von diesem Kernbereich weg. Es war ein atemberaubendes
Farbenspiel, das sich mir hier darbot. Als nächstes zog der Randbereich
eines kleineren Spiralnebels meine Aufmerksamkeit auf sich. Im näheren
Hinsehen, indem mein Blick durch eine Reihe ungleichmäßig
zusammengesetzter Sternenansammlungen glitt, konnte ich das mir bekannte
Sonnensystem erkennen. Da waren die 9 Planeten, die gemeinsam um eine
kleine Sonne kreisten. Den 3. Trabanten vermochte ich als unsere blaue
Erde zu identifizieren. Wohin hatte mich Glöckchen nur gebracht und mit
welchen Fähigkeiten ausgestattet, dass solche Reisen, wie allein durch
einen Wimpernschlag ausgelöst, möglich waren? In der Besinnung auf meine
Schöne fand ich mich an dem Ort wieder, wo sie zuletzt meinen Augen
entschwand. In der Tat, von hier aus konnte ich das ganze Weltall
durchforschen.
Über mir erschien ein helles Licht, das sehr intensiv war,
aber trotzdem nicht blendete. Im Schein senkte sich eine Gestalt zu mir
herab. Glöckchen kam auf mich zu. Ich kann es nicht anders beschreiben,
sie bestand nur noch aus leuchtender Essenz. Wieder ergriff sie meine
Hand, zog mich der Quelle göttlichen Lichts zu. "Wir dürfen den Platz
einnehmen, der uns von ewigen Zeiten her zugeteilt ist. Dort werden wir
die Vollendung unseres Glücks finden." Wieder sprach sie nicht durch
Worte zu mir. Wir erreichten die Sphäre göttlicher Reinheit. Hinter uns
schloss sich das Tor, wodurch Glöckchen und ich hierher gelangten. Ich
erkannte eine Welt atemberaubender Schönheit. Der Reichtum und die
Vielfalt übertraf alles, was ich von der Erde her kannte, oder mir nur
vorzustellen vermochte. Ja selbst im Universum, das zu Durchstreifen ich
Gelegenheit hatte, bot sich in keinem Winkel, an keinem Ort, die Pracht
dar, die ich hier sah. Und am schönsten war Glöckchen. Ihre Erscheinung
vermag ich nicht mehr durch Worte zu beschreiben.

Alle Erdbezogenheit
versagt ihren Dienst. Ich wusste, dass jetzt der Moment gekommen war, den
zu erleben ich mir innigst gewünscht hatte, seit der Trennung von
Glöckchen, aus unserer Durchwobenheit. Wir standen einander gegenüber,
reichten uns die Hände. Von dort ausgehend flossen wir ineinander und
wurden eins. Ich war sie, sie war ich. Wir hatten beide den Teil, welcher
uns zum Ganzsein fehlte, im jeweils anderen gefunden. Alle Leere, alles
Unausgefülltsein, alles vergebliche Sehnen unserer beiden getrennten
Existenzen, fand sein Ende in dieser Verschmelzung. Was blieb war reines
Glück.
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