Meine erste Begegnung mit Glöckchen erfüllte mich lange Zeit mit Freude. Immer wenn ich an sie dachte war es fast so wie damals in ihrem Reich. Sie, als wunderbarer Gedanke, verlieh mir beinahe Flügel. Die Vergegenwärtigung ihrer Erscheinung und Schönheit ließen mich in Glückseligkeit versinken. Aber wie das mit Erinnerungen so ist, sie verblassen im Lauf der Zeit. Die Sehnsucht nach einer neuen Begegnung mit ihr wuchs. Und so machte ich mich eines Tages auf, sie zu suchen. Ich fand das kleine Wäldchen wieder. Die Büsche und Sträucher davor waren verweist. Keinerlei kleine Flugkünstler schwangen sich in ihnen von Ästchen zu Zweig. Von Glöckchen nicht eine Spur. Traurig versuchte ichdie Lichtung in dem Wäldchen zu finden, zu der sie mich damals geführt hatte. Aber so gut ich michauch zu erinnern anstrengte und so weit ich in den Wald vordrang, diesen Ort erreichte ich nicht. Immer tiefer führte mich mein Weg in den dunklen Tann, bis ich feststellte, daß ich mich total verirrt hatte. Unruhe bemächtigte sich meiner. In dieser Gemütsverfassung konnte ich zunächst nichts von derIdylle wahrnehmen, die die großen Bäume, mit dem weichen Waldboden, um mich herum verbreiteten. Im Wind, der über ihren Kronen blies, bewegten sich die Waldriesen leicht hin und her. Das Nadelwerk verwandelte den Luftzug in eine sanfte Melodie. Ein frischer, dunkelgrüner Duft drang in meine Nase. Die ganze Atmosphäre beruhigte nach und nach meine aufgescheuchte Seele. In den Nähe vernahm ich das leise Plätschern von Wasser. Ich fand ein Rinnsal, das sich eingekerbt in den Waldboden, seinen Weg durch die Bäume schlängelte. Mich dessen Ursprung zuwendend fand ich eine Quelle, deren Wasser sprudelnd aus einem Felsen hervorbrach. Daran löschte ich meinen Durst und erfrischte mich auch. Noch im Schöpfen des köstlichen Naß' kitzelte mich etwas am rechten Ohr. Ich erhob mich aus der knienden Haltung, in der ich mich befunden, wandte den Kopf. Da war sie. Mit ihren Flügeln hatte sie mein Ohr berührt. Glöckchen saß auf meiner rechten Schulter. Mein Herz machte Freudensprünge, sie doch noch gefunden zu haben. Ich spürte wieder die angenehme Wärme die von ihr ausging, bot ihr die Innenfläche meiner rechten Hand als Landeplatz an. Durch ein sanftes Schweben begab sie sich da hinein. Ein Gefühl vollkommener Glückseligkeit überkam mich. "Hallo Glöckchen", sprach ich, "du hast mir so gefehlt." "Ich weiß", sagte sie, "deshalb bin ich wieder zu dir gekommen." Ich war mir fast sicher, daß sie genau wußte, was ich mir jetzt wünschte. Sie erhob ihr Händchen und blies mir wieder ihren Zauberstaub ins Gesicht. Es blinkte und glitzerte in den schönsten Farben um mich.

                                                              

Plötzlich stand Glöckchen in verwandelter Gestalt vor mir. In ihr langes, blondes Haar waren wunderschöne Blumen eingebunden. Ihre Augen strahlten und ihren Mund umgab ein be- zauberndes Lächeln. Sie trug ein rosenquarzfarbenes leichtes Gewebe, das ihre Erscheinung sanft betonte. Ihre makellosen Arme, Hände und Füße, die unbedeckt blieben, vollendeten das Bild atemberaubender Schönheit. Ich schloß sie in meine Arme. Wellen von Wärme und ungeahntem Glücksgefühl durchströmten mich. So nahe bei ihr konnte ich den angenehmen Duft, der von ihr ausging, wahrnehmen. Es schien eine Mischung der verschiedensten Blütenaromen zu sein, die sich zu sinnenbetörender Gesamtheit vereinigten. All' diese Eindrücke ließen Bäche von seligen Glückstränen meinen Augen entspringen. Wie lange wir so, eng umschlungen, gestanden hatten, wußte ich nicht. Nie hätte für mich die Umarmung mit diesem bezaubernden Wesen enden sollen. Sie löste sich von mir. Nahm meine Hände in die ihren. So standen wir uns gegenüber, sahen uns wortlos eine Ewigkeit in die Augen. Diese Distanz war zu groß. Die folgende Umarmung war inniger als diejenige zuvor. Unendliche Zeit hätte ich mit Glöckchen so verbringen können. "Du weißt", sagte sie, "es ist noch nicht soweit, daß wir in dieser Weise vereint sein können. Dein Weg auf der Erde sieht noch Zeiten der Einsamkeit und Trockenheit vor, bis du die Stufen der Reinheit erklommen hast, von wo aus wir, so wie du es jetzt erlebst, gemeinsam weiter voranschreiten. Aber auch wenn ich dich nun wieder in deine Welt zurückschicken muß, ich bin durch das Band unserer unsterblichen Liebe auf ewig mit dir verbunden. Immer bin ich bei dir. Und wenn ich die Erlaubnis bekomme, werde ich dich für eine neue, noch innigere Begegnung mit mir, wieder in meine Welt holen." Sie gab mir einen zärtlichen Kuß. Mein Herz war erfüllt von unendlicher Liebe zu Glöckchen. In die Trauer, jetzt diese unmittelbare Nähe zu ihr aufgeben zu müssen, mischte sich Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Dies hatten mir ihre Worte geschenkt. Mit einem letzten Kuß verabschiedete sich Glöckchen von mir. Ihren Zauberstaub mir ins Gesicht blasend, schwanden mir die Sinne. Ich erwachte, wie nach einem erholsamen Schlaf, zu Hause in meinem Bett. Hatte ich geträumt? Die erneute Begegnung mit Glöckchen stand mir noch deutlich vor Augen.